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„Neben- statt nacheinander!“

Individualismus, Eklektizismus und Neo-Retro, aber auch Technologisierung und Digitalisierung: Für Marty Lamers ist Textil ein faszinierendes Spannungsfeld. An Architekten hat er einen großen Wunsch: Textilien von Anfang an mitdenken! 


Wenn Sie sich in Deutschland, in den Niederlanden, in der Welt umschauen: Welche Textiltrends sehen Sie? Und welche finden Sie besonders spannend?

Interior bedeutet heute unglaublich viel Textil – viel mehr als vor zehn Jahren. Es muss alles nach Unikat aussehen. Man mischt Vintage mit neu. Man zeigt das Leben im Moment. Es ist ganz wichtig, seine Persönlichkeit zu präsentieren. Individualität ist wie ein Bild. Wenn ich an mich selbst denke, dann ist mein Haus eingerichtet mit Produkten aus verschiedenen Jahrzehnten. Wer heute neu baut, kauft jedoch alles neu – dann entsteht oft der Eindruck eines Möbelhauses. Da ist es gut, dass Produkte aus 2018 nicht alle wie aus 2018 aussehen. Neue Produkte sehen alt aus. Alles mischt sich – Eklektizismus ist angesagt. Dadurch entsteht ein neuer Individualismus, es muss nicht immer alles akkurat passen. Es ist eine andere Weise, sich mit Dingen zu umgeben. Das betrifft auch die Pflanzen, die eine neue Bedeutung erleben.


Wie wird etwas überhaupt zum Trend? Oder anders gefragt: Wer entscheidet, ob Purismus & Beton oder Tufftigkeit & Textil vorherrschen?

Trend hört sich wie ein altmodischer Begriff an. Natürlich machen Menschen die Trends. Designer sind auch Menschen. Firmen haben unglaubliche Probleme mit diesen Trends. Ihre Produkte sollen nicht aussehen wie irgendetwas anderes. Sie sollen aussehen wie für mich bestimmt. Niemand will, dass für ihn bestimmt wird – kein „Kollektivismus“! „Hipster“ war mal ein Trend. Fünf Jahre später ist alles eine Soße. Nehmen Sie die Blogs auf Tumblr als Beispiel – das ist alles zu bemüht. Es sieht alles supergut aus, ist aber oft nur Fassade und Image. Aber die Welt will heute mehr denn je, dass alles so schön gezeigt wird.


Schließen sich Purismus und Textil aus?

Nein. Purismus ist eigentlich derzeit nicht im Trend. Wie immer wechseln die Zyklen. In ein paar Jahren soll es wieder nach weniger aussehen. Minimalismus ist aber schwieriger, weil man ihn besser verstehen muss. Dekor ist anwesender, präsenter: Wenn ich das gleiche Produkt mit und ohne Dekor sehe, dann denke ich, dass das Produkt mit Dekor teurer aussieht. Im Purismus muss ich mit mehr Geld mehr Dinge wegnehmen. Purismus ist für weniger Leute verständlich. Nordeuropäer, Skandinavier sind puristischer. Landschaft und Wetter spielen da auch mit rein. Ein schrilles Orange funktioniert bei viel strahlendem Sonnenschein, aber an kühlen Tagen wird es anstrengend, weil das Licht ein anderes ist.


Bei House of Textile regen wir dazu an, über klassische Textilthemen hinauszudenken. Beschäftigt man sich im Rahmen des Designstudiums auch mit Themen wie Akustik, Raumklima oder Aufenthaltsqualität?

Man kann diese Themen berühren, aber dann wird es wissenschaftlich, technisch, und das Studium ist so kurz, dass ich lieber anleite, um authentischer zu werden. Wenn man das gelernt hat, kann man immer noch mit einem Akustiker zusammenarbeiten. Geht man zu früh auf diese technischeren Themen, beschränkt man sich zu früh. 

Aufenthaltsqualität ist insgesamt gerade total wichtig. Auch politisch ist das wichtig. Design mutet gerade überflüssig an. Umweltfreundlich im Sinne der Nachhaltigkeit wäre, nichts zu tun. Als Designer muss man sich daher immer in einem Spannungsfeld bewegen mit anderen Spezialisten. Zusammenarbeit ist da der Schlüssel.


Wenn Sie zehn Jahre vorausschauen: Was könnte Textil dann können, was heute noch unmöglich erscheint?

Textil wird technischer. Es ergeben sich neue technische Möglichkeiten, neue Technologien auch für Heimtextilien. Aktuell sind technische Textilien eher in der Industrie im Einsatz. Sie sind eher zweck- und zielgerichtet. In Zukunft übernehmen Textilien Funktionen wie z.B. Sound, Gesundheit – und nicht nur Wärme. Es geht immer um den Körper – auch bei Heimtextilien. Der Einzug von Technologien in Textilien wird dann spannend und gleichermaßen gefährlich, wenn Daten in die Textilien Einzug halten. Dann liefern Textilien Daten, die bei Unternehmen gesammelt werden, wo man nie langfristig sicherstellen kann, dass diese Daten nicht auch zur Manipulation oder mehr eingesetzt werden. Bei der Sammlung von Gesundheitsdaten profitieren wir heute noch vom Berufsgeheimnis des Arztes. Bei Textilien gibt es so etwas nicht. In Zukunft werden analoge Materialien wie Textil nur noch Träger von Daten.


Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten in der Arbeit von Designern und Architekten? Wo sehen Sie Unterschiede?

Ich habe selbst in einem Architekturbüro gearbeitet. Architekten gehen immer noch sehr traditionell mit Textil um. Erst bauen sie die harten Elemente, dann folgt das Licht und erst dann die Möbel. Es wäre wünschenswert, wenn Textil von vornherein mitgedacht würde: Kollaboration, Co-Kreation, Nebeneinander statt nacheinander – das wäre auch viel günstiger. Architektur ist heute noch eine supertraditionelle Welt, die in Schichten denkt. Textil wird nicht ernstgenommen. Aber langsam ändert es sich, sehr langsam. Vielleicht wird textiler Charakter in Zukunft über 3-D-Print vermehrt Einzug halten. Aber das wird sicher noch mindestens zehn Jahre dauern. Aktuell wird in den Niederlanden gerade ein Grachtenhaus mit 3-D-Drucker gebaut. Ich finde, es steckt nicht nur ein kreativer Vorteil in dieser Bauweise. Es scheint mir auch nachhaltiger zu sein, wenn ich nur das Material direkt vor Ort produziere, was ich auch benötige.


Haben Sie eine Botschaft an die deutsche Architekturszene?

Gestaltet nicht nur Gebäude. Schaut euch an, wie man gern drin lebt, und nicht nur das Gerüst, den Körper. Denkt nicht nur vertikal und horizontal. Textil ist fließend. Sucht früher den Dialog, dann könnte man wunderschöne Sachen entwickeln. Dann passt es zusammen, weil es ein einheitliches Konzept ist. Dann wird auch nicht immer auf fertige Lösungen aus dem Regal zurückgegriffen, dann kann Textil ebenso individuell wie die Architektur gedacht werden. 


Wären Sie lieber Architekt geworden, weil diese so frei und so früh ihre Werke schaffen?

Nein, ich wäre nicht gern räumlich geworden. Dafür habe ich auch zu wenig Geduld. Ich habe auch Mode studiert. Ich liebe die Geschwindigkeit von Mode. Sie ist immer offen, in Bewegung, lebt nur für den Moment. Ich darf in einem Moment etwas anderes sein als im nächsten Moment. Ich mag diese Energie, diese Bewegung. Gebäude stehen sehr lange auf einem Fleck, das Sofa ist für mich auch schon sehr statisch, aber mit Heimtextilien bringe ich Bewegung in den Raum…

Heimtex

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Heimtextilien-­Industrie e.V.

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